Dienstag, 17. Juli 2012

Amok.

Freitag, 25.04.2011. 08:00:



Beginn eines Schultages. Ein normaler Tag in der 10c. Ein normaler Tag für Schüler und Lehrer. Keine besonderen Vorkommnisse. Tom fehlt, was aber nichts ungewöhnliches ist. Keine besonderen Vorkommnisse. 



Über Tom:

Tom ist ein unauffälliger Schüler. Er leidet an einem Sprachfehler, und deswegen  manchmal unter seinen Klassenkameraden. Ist das der Fall, bleibt Tom dem Unterricht oft fern. Ansonsten fällt er durch seine ruhige Art kaum auf, wird sogar gelegentlich nicht wahrgenommen.


Montag, 28.04.2011, 08:00:


Der erste Tag nach dem Wochenende. Tom fehlt immer noch, Gedanken macht sich jedoch keiner.


Montag, 28.04.2011, 12:00:

Beginn der vierten Stunde. In der Pause hat es einen anonymen Anruf gegeben. Angeblich soll an der Schule ein Amoklauf stattfinden. Die Schüler werden nicht informiert, um sie nicht zu beunruhigen. Die Polizei wird eingeschaltet, stempelt den Vorfall jedoch als harmlosen Schülerstreich ab.

Dienstag, 29.04.2011, 08:00:

Tom ist immer noch abwesend. Die Klassenlehrerin informiert die Eltern. Diese sind überrascht, man ist der Meinung, er würde die Schule regelmäßig besuchen.
Man beschließt, ihn zu aufzuspüren und zur Rede zu stellen. Doch die Suche bleibt erfolglos.

Dienstag, 29.04.2011, 18:00:

Toms Eltern treffen zu Hause ein. Ihr Sohn sitzt in seinem Zimmer und reagiert sauer, als er auf sein Fehlen angesprochen wird. Er beharrt darauf, dass es seine Sache ist, wann und ob er zur Schule geht. Nach einer langen Diskussionen und vielen Drohungen seitens der Eltern verspricht Tom, die Schule wieder regelmäßig zu besuchen.

Mittwoch, 30.04.2011, 08:00:

Wieder ein Anruf seitens der Schule, die Eltern sind besorgt. Niemand weiß, wo Tom sich gerade aufhält.

Mittwoch, 30.04.2011, 12:00:

Eine vermummte Person wird dabei beobachtet, wie sie mit einer großen Reisetasche das Schulgebäude betritt. Als misstrauische Lehrer näher treten, sehen sie einen Munitionsgürtel. Sie rennen ins Gebäude, um den Rektor und die anderen Kollegen zu informieren. Kurz darauf sind Schüsse und Schreie auf den Gängen zu hören. Die Schüler werden aufgefordert, unverzüglich in ihre Klassenzimmer zu gehen, die Lehrer sollen die Türen anschließend, nach Überprüfung der Anwesenheitsliste, abschließen.


Mittwoch, 30.04.2011, 12:05:


Panik macht sich sowohl unter den Lehrern als auch den Schülern breit. Noch immer sind Schüsse zu hören, die meisten Klassen haben sich bereit eingeschlossen. 


Mittwoch, 30.04.2011, 12:15:


Im Hauptgebäude herrscht gespenstische Stille. Weinen ist zu hören, einige Verletzte liegen auf dem Boden. Die Polizei wird alarmiert.


Mittwoch, 30.04.2011, 12:20:


In einem Nebengebäude sind wieder Schüsse zu hören, die vermummte Person schafft es, in eine volle Klasse einzudringen, weil die Tür nicht geschlossen wurde. Er nimmt sie als Geiseln.


Mittwoch, 30.04.2011, 12:20:


Die Polizei tritt ein und stürmt sofort das Gebäude. Verletzte werden versorgt, Tote gibt es wie durch ein Wunder nicht. Noch ist nicht bekannt, dass eine Klasse als Geiseln genommen wurde.


Mittwoch, 30.04.2011, 12:25:


Eine Schülerin der Klasse schafft es, unerkannt eine SMS an ihre Eltern zu schreiben, die sofort weitergeleitet wird. Nun ist klar, dass Geiseln genommen wurden.


Mittwoch, 30.04.2011, 12:30:


Die Polizei nimmt Kontakt mit der Person auf – jetzt wird klar, dass es Tom ist. Seine Eltern versuchen, mit ihm zu sprechen, doch sie sind zu erschöpft. Es wird versucht, zu handeln. Man fragt ihn, was er braucht. 


Mittwoch, 30.04.2011, 14:00:


Eine gespenstische Atmosphäre umschließt das Schulgebäude. Es ist unheimlich still, man weiß nicht, wie Tom weiter vorgegangen ist, ob es weitere Verletzte oder gar Tote gibt.

Mittwoch, 30.04.2011, 14:20: 

Tom gibt an, die Geiseln freizugeben. Nachdem sie durchgezählt wurden, wird das Nebengebäude gestürmt. Ein einzelner Schuss lässt die Polizisten zusammenzucken. Sie dringen ins Klassenzimmer ein. Dort finden sie Tom vor, erschossen von sich selbst. Und eine Nachricht an der Tafel, die er hinterlassen hat: „Schuld hat der, der Schmerz nicht lindert, Schuld hat der, der nicht versteht. Schuld hat der, der nicht verhindert, dass ein Mensch am Rade dreht.“

Nachwort:

Nichts, was hier beschrieben wurde, ist wirklich passiert. Was nicht heißen soll, dass es nicht passieren KÖNNTE.
Tom, die Hauptfigur, handelte aus scheinbar banalen Gründen. Beschrieben wurde lediglich, dass er unter einem Sprachfehler litt und deswegen gelegentlich auch unter seinen Mitschülern. Details habe ich bewusst ausgelassen.

Hinter dieser Geschichte soll eine Botschaft stecken: Nicht, was die, die andere mobben, beleidigen, schlagen, als harmlos empfinden, empfindet das Opfer ebenfalls als harmlos. Hier stehen die Bedürfnisse des Betroffenen klar im Vordergrund. Leiden und Scherzen werden stets unterschiedlich empfunden: Die Täter argumentieren ihre Taten oft damit, dass sie ihnen selbst, wenn sie betroffen wären, nichts ausmachen würden. Darauf zu hören, ist allerdings falsch. Nur, weil sie Mobbing als harmlos abstempeln, ist es das nicht.

Leiden ist sehr komplex und löst dementsprechende Reaktionen aus. Die einen können das ab, es macht ihnen nichts. Die anderen fressen es in sich hinein. Manche begehen Suizid. Wieder andere reagieren impulsiv, schaden aber niemand anderen. Und in extremen Fällen, wie bei Tom, reißt der Faden eines Tages, in Form von Verbrechen gegenüber anderen.

Besondere Aufmerksamkeit sollen die letzten Worte Toms an der Tafel erregen: „Schuld hat der, der Schmerz nicht lindert, Schuld hat der, der nicht versteht. Schuld hat der, der nicht verhindert, dass ein Mensch am Rade dreht.“

Ein Amoklauf ist unentschuldbar. Mit diesen Zeilen wollte ich ihn nicht relativieren. Der Fokus soll aber auf das gelegt werden, was gerne verdrängt oder vergessen wird: Die direkte oder indirekte Mitschuld anderer: Wer einen anderen Menschen quält, oder nicht verhindert, dass ihm Leid zugefügt wird, macht sich zumindest moralisch gesehen strafbar. Wird nicht eingeschritten, wähnen sich die Täter in Sicherheit. Dies gibt ihnen den nötigen Kick, wer keine Konsequenzen zu befürchten hat, macht weiter.

Auf der anderen Seite ist bekannt, dass sich Menschen, die missbraucht werden, in der Regel nicht anvertrauen. Mit bekannten Personen wird oft nicht geredet, und erst recht nicht mit unbekannten. Hier ist der in der Pflicht, der Kenntnis von solchen Tate besitzt. Nur wenn Täter zur Rede gestellt werde und den Opfern geholfen wird, lassen sich das Opfer-Täter-Prinzip, und damit solche Taten, später eventuell ganz vermeiden.

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